Stillst du immer noch ???

„Es ist dumm, nach dem 6. Monat zu stillen, medizinisch gesehen bringt das gar nichts.“

„Mit 14 Monaten noch stillen ist lächerlich.“

„Es ist ärztlich belegt, dass Stillen nach 6 Monaten nichts mehr bringt.“

 

Du meinst, das sind die Aussagen irgendwelcher  Leute von früher zum Thema Stillen? Da muss ich dich leider enttäuschen. Es sind die Aussagen von Ärzten im Jahr 2021.

 

Die Aufklärungsarbeit zum Thema Stillen geht langsam voran. Es würde die Angelegenheit sehr erleichtern, wenn sich zumindest medizinisches Personal flächendeckend auf den aktuellsten Wissenstand bezüglich Stillen bringen würde, um nicht weiterhin Mütter mit ihren Aussagen zu verunsichern.

 

Wenn nach 6 Monaten nichts mehr in unserer Milch drin ist, wieso produziert die Brust diese dann weiterhin? Wieso bleibt das Saugbedürfnis von uns Menschen in der Regel bis ins 4. Lebensjahr hinein bestehen?

 

WHO und Unicef empfehlen Stillen bis zum Ende des 2. Lebensjahres und darüber hinaus, solange Mutter und Kind das wollen. Warum?

 

Auch nach dem 1. Jahr versorgt unsere Milch unser Kind mit vielen Nährstoffen. Das ist besonders wichtig für Kinder, die noch wenig feste Nahrung essen oder bei Krankheit feste Nahrung verweigern.

Tatsächlich enthält unsere Milch auch weiterhin die gesunden langkettigen Fettsäuren, die so wichtig sind für Babys Entwicklung, allen voran die Hirnreifung, die mit einem Jahr längst nicht abgeschlossen ist. Antikörper , die wir Frauen auf Krankheitserreger in unserem Umfeld bilden, gehen nach wie vor in unsere Milch über und können so unser Kind vor Infektionen schützen. Das ist besonders hilfreich für die Zeit, wenn unsere Kinder in Betreuungseinrichtungen plötzlich mit vielen verschiedenen Menschen und Keimen konfrontiert werden.

Auch mit einem Jahr brauchen die allermeisten Kinder noch Kalorien in flüssiger Form. Bis zur vollständigen Aufnahme dieser über feste Kost  vergehen nicht selten 2 Jahre. Worin besteht der Sinn, diese fehlenden Kalorien mit einer Ersatzmilch zu kompensieren, wenn Mutter und Kind das Stillen nach wie vor genießen?

 

Wenn dann nun die vollständige Nahrungsaufnahme aus anderen Quellen erreicht ist, bedeutet das dann, das Stillen wertlos ist? Meine Antwort lautet: Nein! Stillen dient dem Trösten und Beruhigen bei Schmerzen und Kummer, ist bei Zahnen oder Durchfall sowie fieberhaften Infekten u.a. oft die einzig akzeptierte Kost. Stillen hilft hier den Elektrolythaushalt im Gleichgewicht zu halten und kann Kinder so vor ernsthafteren Schäden bewahren.

 

Kennst du solche Situationen:


Dein Kind stillt tagsüber eigentlich kaum noch oder gar nicht, aber genau dann, wenn du dich mit vielen Leuten triffst oder mitten in Bus, Bahn, Restaurant etc. will es plötzlich ständig ran an den Busen?
Dein Kind hatte gerade einen riesen Wutanfall und von der einen auf die andere Minute ist es, als wäre nie etwas gewesen? Während du selbst noch total aufgebracht und vielleicht sogar sauer bist, lieber bockig die Arme verschränken möchtest als kuscheln, will dein Kind nichts lieber als sein Gesichtchen in deiner Brust vergraben?

 

Ich sehe darin eine Art Rückversicherung unserer Kleinen. In fremden Umgebungen, mit vielen Menschen, muss es hin und wieder Sicherheit tanken. Einen kurzen Moment spüren, dass alles wie immer ist und Mama ja nicht vergisst, mich wieder mitzunehmen. Wenn Mama schimpft oder traurig zu sein scheint, muss es sich versichern, dass Mama es immer noch lieb hat. Gerade, wenn Worte noch rar sind, ist Körperkontakt umso wichtiger. Natürlich lässt sich der Busen für diese Zwecke ersetzen, sei es durch Streicheln, Umarmen, durch Papa oder andere Vertraute. Aber bitte verurteilen wir doch niemanden, der seinen mütterlichen Instinkten folgt bzw. seinem Kind die seinen gewähren lässt.

 

„ Es gibt keine bessere Möglichkeit, einen Wutanfall abzumildern, Schmerzen zu lindern oder ein nörgelndes Kind zum Schlafen zu bringen, als zu stillen.“
-unbekannt-

 

Last but noch lange nicht least,

 

bringt längeres Stillen auch für uns Mamas viele Vorteile. Wir senken damit unter anderem unser Risiko für Diabetes, für bestimmte Krebsarten, wie Brust- und Eierstockkrebs und Herzkrankheiten.

 

Die Forschung ist lange nicht abgeschlossen und die Wissenschaft erhält jedes Jahr neue Erkenntnisse über die Bedeutung von Muttermilchernährung. Das langes Stillen Nachteile birgt oder nutzlos ist, ist in den vergangenen Jahrzehnten keine Erkenntnis der Wissenschaft.

Es wäre also schön, wenn das Kritisieren von Mamas , egal, wie sie ihre Stillbeziehung gestalten, aufhören würde. Zustimmung und Ermunterung, mindestens aber Akzeptanz  fände ich angebracht.

 

Eine Mama schreibt dazu:

 

„Unsere Tochter ist jetzt 1,5 Jahre alt und wird zum Mittagsschlaf, abends zum Einschlafen und nachts wenn sie eine Einschlafbrücke braucht gestillt. Tagsüber möchte sie es sehr selten. Ich habe aber bei ihr festgestellt, dass stillen auch hilft, wenn sie Schmerzen hat oder sehr unruhig und quengelig ist. Kurz danach ist sie wie ein neuer Mensch.

Ich habe mich sehr viel mit dem Thema stillen beschäftigt, weil mein Umfeld es „komisch“ fand, dass meine Tochter so oft an die Brust wollte und nicht abzustillen war. Dann habe ich angefangen zu recherchieren und bin auf viele interessante Texte/Studien/Forschungen gestoßen, die ich in dem positiven Ausmaß nicht erwartet hatte. Ich wurde zu einer Langzeitstillenden und stehe dazu, weil ich jetzt weiß, was alles in meiner Milch steckt. 😃“

 

 

Literaturtipps

 

https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/artikel/langzeitstillen-wo-ist-das-problem/

https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/bfm.2017.0180

https://www.who.int/nutrition/publications/guiding_principles_compfeeding_breastfed.pdf

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24998548/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12133652/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28637778/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18449131/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11236735/

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77004/Studie-Stillen-senkt-Risiko-fuer-Multiple-Sklerose

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2714700/

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/apa.13102